04/17 | 2. Arzneimittel-Forum der GWQ: Mit Digitalisierung Defizite der Arzneimittelversorgung bekämpfen

Defizite in der Arzneimittelversorgung und die Zukunft des Apothekenmarktes standen im Mittelpunkt des 2. Arzneimittel-Forums der GWQ, das vier Tage nach der Bundestagwahl in Düsseldorf stattfand. Dabei erfuhren die Gäste der GWQ, dass niedergelassene Ärzte weiterhin zu spät über aktuelle Nutzenbewertungen von Arzneimitteln informiert werden und dass es regional hohe und nicht erklärbare Unterschiede bei den Arzneimittelausgaben gibt. Umstritten blieb hingegen, ob die „analogen“ inhabergeführten Apotheken auch in Zeiten der digitalen Transformation wie bisher im Zentrum der Patientenversorgung bleiben. Während z. B. GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen in Folge der Digitalisierung strukturelle Veränderungen des Apothekenmarktes prognostizierte, sehen sich Apothekenvertreter weiter in einer Schlüsselrolle, weil Apotheken die patientenfreundlichste Lösung seien.

Konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung lieferten die Vorträge im ersten Teil der Veranstaltung. Dr. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband, verwies darauf, dass die Ergebnisse des AMNOG-Prozesses die Arztpraxen auch sechs Jahre nach Einführung des Gesetzes weder schnell genug noch in ausreichendem Maße erreichten und sich daher nicht im Verordnungsgeschehen niederschlagen. Abhilfe schaffen könnte ein verbessertes Informationssystem, damit die Ärzte über ihre Praxissoftware schnell und umfassend auf Nutzenbewertungen zugreifen könnten. Allerdings sei unklar, wann ein solches System tatsächlich zur Verfügung stehen wird.

Ebenfalls unklar, so Dr. Barthold Deiters, Leiter Arzneimittel bei der GWQ, seien die Ursachen für die teils erheblichen Unterschiede bei der Performance bzgl. der regionalen Zielvereinbarungen in den einzelnen KV-Bezirken. Diverse Datenanalysen der GWQ belegen starke regionale Ausreißer, die auch nach Berücksichtigung alters- und morbiditätsbedingter Einflüsse der unterschiedlichen KV-Regionen bestehen. Auch diese Zahlen, so Dr. Deiters, böten Ansatzpunkte für Information bzw. Verordnungsteuerung der niedergelassenen Ärzte. Im zweiten Teil seines Vortrags zeigte Dr. Deiters Evaluationen zu den Effekten von verschiedenen Arztanschreiben zur Unterstützung der GWQ-Selektivverträge. Die Steuerungswirkung entfaltete zum Teil beachtliche Effekte und kann im Idealfall die Zielvereinbarungen auf KV-Ebene parallel wirksam unterstützen.

Die Technologien für eine Verbesserung und Beschleunigung der Informationsflüsse ist jedenfalls heute schon verfügbar, wie Dr. Josef Scheiber, Geschäftsführer der Biovariance GmbH, an einem Beispiel erläuterte: Eine von seinem Unternehmen entwickelte APP zur Verbesserung der Adhärenz von onkologischen Patienten leitet die Versicherten durch die Arzneimitteltherapie, gibt dem Arzt Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten in Echtzeit und integriert als selbstlernendes System die Informationen aus der konkreten Anwendung, um auf dieser Grundlage Informationen zur individuell jeweils besten Einstellung zu liefern.

Schon in Sicht sind Lösungen, mit denen die Kontinuität der Arzneimitteltherapie beim Übergang von stationärer zur ambulanten Betreuung gesichert werden soll. Martina Prinz von der Uniklinik Köln stellte auf dem Forum vor, wie ihr Haus sich auf das gesetzlich vorgegebene Entlassmanagement vorbereitet. Sie beschrieb die notwendigen Schritte und erläuterte, wie aufwändig die Umsetzung für die komplexe Organisation einer großen Universitätsklinik ist. Nicht zuletzt, wie sie beklagte, weil die Möglichkeiten der Digitalisierung in Deutschland noch nicht annähernd ausgeschöpft werden.

Die Zukunft des Apothekenmarktes, Thema des zweiten Teils der Veranstaltung, ist eng verbunden mit der Frage nach leistungsgerechten und qualitätsfördernden Vergütungsmodellen. Oliver Harks, Bereichsleiter des GWQ-Einkaufsmanagements, stellte zur Diskussion, die pharmazeutische Kompetenz zur Honorargrundlage zu machen. Zugleich plädierte er aufgrund der bisherigen Erfahrungen für mehr Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt. Rabattverträge z. B. seien ein Erfolgsmodell, das zudem und anders als oft dargestellt nicht für Lieferengpässe bei Arzneimitteln verantwortlich seien. Und wären Ausschreibungen à la GWQ zur ambulanten Zytostatikaversorgung nicht nachträglich verboten worden, hätten solche Verträge die GKV um rund 700 Mio. Euro entlasten können - und hätten zudem für vielfach kürzere Lieferwege gesorgt statt, wie von der Politik behauptet, die wohnortnahe Versorgung zu gefährden.

Für diese wohnortnahe Versorgung, so Dr. Andreas-Georg Kiefer als ABDA-Vorstandsmitglied und Präsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz, seien inhabergeführte Apotheken auf Dauer unverzichtbar. Nur sie seien in der Lage, gerade die „schwächsten 10 Prozent der Versicherten“ in den Regionen persönlich zu betreuen. Dass die Digitalisierung daran etwas ändere, bezweifelte Dr. Kiefer, schließlich seien die niedergelassenen Apotheker offen für Innovationen im Interesse der Patienten.

Aus Sicht von Max Müller, Chief Strategy Officer der Versandapotheke DocMorris, dürfte sich der Wunsch der Apotheker nach einem grundsätzlichen „weiter so“ jedoch nicht erfüllen. Mehr Wettbewerb rund um Abgabe und Beratung zu Arzneien ist für ihn zwangsläufig. Ob dabei das Gesundheitssystem bzw. die Gesundheitspolitik als Treiber auftreten, sei nicht allein entscheidend. Denn vor allem die weltweit agierenden Internetkonzerne bringen den Markt nach Müllers Überzeugung in Bewegung, indem sie mobile und komfortable Angebote bereitstellen, die den Bedürfnissen der Versicherten entsprechen und deren Nachfrageverhalten dauerhaft verändern werden.

Diese Einschätzung teilte auch GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen, der die Entwicklung aus Perspektive der Krankenkassen analysierte. Immer mehr Menschen, nicht nur die heranwachsenden Generationen, interessieren sich heute aktiv für digitale Gesundheitsangebote. Dem dadurch entstehenden Nachfragedruck könnten sich auch die bisherigen Vertragspartner der Krankenkassen nicht entziehen. Die Digitalisierung vergrößere dabei nicht nur die Wahlmöglichkeiten von Versicherten und Patienten. Sie liefere auch funktionierende Instrumente, mit denen Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung deutlich verbessert werden können. Allerdings, so Dr. Thormählen, werden die schon heute vorhandenen technologischen Möglichkeiten in Deutschland nicht genutzt, ein Zustand, den sich das deutsche Gesundheitswesen nicht dauerhaft leisten kann.


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