04/18 | 9. Berliner Symposium der GWQ: Krankenkassen können die Gesundheitskompetenz der Versicherten „pushen“


Bei der Stärkung der Gesundheitskompetenz ihrer Versicherten können und sollen Krankenkassen in Zeiten der Digitalisierung eine deutlich größere Rolle spielen. Das ist eine der Erkenntnisse des 9. Berliner Symposiums der GWQ. Bei der Veranstaltung am 13. November in der Berliner Daimler Repräsentanz wurde die Frage untersucht, wie die Gesundheitskompetenz von Versicherten und Patienten wirkungsvoll gestärkt werden kann. Weil sachliche und evidenzbasierte Informationen mit den üblichen Suchstrategien schwer zu finden seien, hätten die Kassen die Möglichkeit, Versicherte beim persönlichen Kontakt und durch „push“-Meldungen auf gute Quellen hinzuweisen.

Außer Frage stand für alle anwesenden Experten, dass gut informierte und entscheidungsfähige Versicherte für eine konsequent patientenorientierte Gesundheitsversorgung notwendig sind. Auf Seiten der Versicherten so Benjamin Plocher, Vorstand der Daimler BKK zur Eröffnung des Symposiums, ist das Interesse an Gesundheitswissen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Neben wenig informierten Menschen gäbe es große Gruppen, die immer den neuen Trends zu gesundem Ernährungs- oder Bewegungsverhalten folgen.

Auch GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen betonte in seiner Eröffnungsansprache die Vielseitigkeit der Aufgabe „Stärkung der Gesundheitskompetenz“: So wie es bei therapeutischen Angeboten Über-, Unter- und Fehlversorgung gebe, gäbe es auch Über-, Unter- und Fehlversorgung bei Gesundheitsinformationen – mit entsprechenden Auswirkungen auf gesundheitsrelevantes Verhalten, Therapieadhärenz und Wissen um medizinische Evidenz. Die Kassen könnten ihre Versicherten deshalb mit hilfreichen Informationen, sogar auf ihre konkrete Gesundheitssituation zugeschnitten, versorgen; nur dürften sie die dazu notwendigen Versorgungsdaten bislang aus rechtlichen Gründen nicht nutzen.

Auch Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, glaubt, dass Krankenkassen durch Bereitstellung von verständlichen und evidenzbasierten Informationen für mehr Gesundheitskompetenz sorgen können. Die hierbei ebenfalls geforderten Ärzte sind seiner Meinung nach derzeit nicht in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. So zeigte er auf, dass die meisten Mediziner beispielsweise nicht in der Lage seien, Statistiken zu verstehen bzw. sie in für Versicherte relevante und verständliche Aussagen zu übertragen. Deshalb sei es wichtig, diese Fähigkeiten schon während des Medizinstudiums zu vermitteln.

Nicht zuletzt, so Dr. Alexander Schachinger, Geschäftsführer EPatient RSD GmbH Digitale Gesundheit in seinem Vortrag, weil Ärzte von den Versicherten, noch vor den Krankenkassen, als wichtigste Absender von Gesundheitsinformationen gesehen werden. Die Digitalisierung biete zwar neue und bessere Kommunikationsmöglichkeiten, allerdings könne man nicht darauf vertrauen, dass Angebote über digitale Kommunikationskanäle das Problem der mangelnden Gesundheitskompetenz gleichsam automatisch lösen. Ältere und weniger gebildete Menschen würden digitale Medien noch vergleichsweise wenig nutzen – und selbst Versicherte, die aktiv nach Informationen suchen, finden die verlässlichen Informationen meist nicht, weil kommerzielle Angebote im vom Wettbewerb um Aufmerksamkeit geprägten Internet in den Trefferlisten oben stehen.

Deshalb sollten Ärzte oder Krankenkassen ihre persönlichen Kontakte mit den Versicherten nutzen, um aktiv auf hilfreiche Informationen oder nützliche Apps hinzuweisen. Diese Einschätzung vertrat auch SBK-Vorständin und GWQ-Aufsichtsrätin Dr. Gertrud Demmler. In einer Podiumsdiskussion nannte sie es illusorisch zu glauben, dass Krankenkassen oder andere öffentliche Institutionen den Wettbewerb um die besten Treffer in den Suchmaschinen gewinnen können. Aufgrund des in der Regel hohen Vertrauens von Versicherten zu ihren Krankenkassen hätten diese aber die Chance, ihre Versichertenkontakte für ergänzende Informationsangebote zu nutzen. Die Kassen könnten dabei sogar auf die einzelnen Versicherten maßgeschneiderte Informationen bereitstellen. Theoretisch, denn: „Wir können viel mehr, als wir dürfen“ wie Dr. Demmler klarstellte.

Im Rahmen der Diskussion beschrieb Marion Grote-Westrick von der Bertelsmann-Stiftung einige Gründe für die Schwierigkeiten, gute und objektive Informationen im Internet zu finden. Die entsprechenden Seiten selbst – z. B. die Gesundheitsinformationen des IQWiG – seien meist weder Patienten noch Ärzten bekannt. Bei einer freien Suche hingegen bestimme die Suchstrategie, welche Links gefunden werden: Wer zu bestimmten Symptomen nach „gefährlich“ sucht, erhält Links genau zu diesem Thema. Wer „harmlos“ eingibt, erhält entsprechend beruhigende Informationen. Ihre Folgerung: Gesundheitsinformationen sollten keine Holschuld der Patienten bleiben, sondern Bestandteil des regulären Versorgungsangebots der GKV.

Das ist nach Meinung von Ansgar Jonietz, Mitgründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH „Was hab‘ ich?“, nur erfolgversprechend, wenn die Informationen zugleich empfängergerecht individualisiert und als „push“-Nachricht an den Mann oder die Frau gebracht werden. Obwohl sein Unternehmen sich einer großen Nachfrage für „Übersetzung“ von Arztbriefen in eine für Nicht-Mediziner verständliche Sprache erfreut, sei das nicht beliebig skalierbar. Weil sich aber das Textverständnis von 40 Prozent der Bevölkerung auf Grundschulniveau bewege, sei eine Personalisierung der Informationen mit aktivem Vertrieb unumgänglich.

Von heute auf morgen, so Prof. Dr. med. Attila Altiner, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Rostock, sei eine wirklich gute Gesundheitskompetenz nicht auszubilden. Evidenz und Gesundheitskompetenz seien medizingeschichtlich gesehen noch junge Themen. Außerdem sei es eine Tatsache, dass bislang nur für einen eher kleinen Teil der Medizin überhaupt Evidenz vorliege. Vor diesem Hintergrund beurteilt er die derzeitige Entwicklung durchaus hoffnungsvoll. Wenn Patienten den Arzt heute mit im Netz gefundenen Informationen konfrontieren, sei das aus ärztlicher Sicht grundsätzlich erfreulich. Denn das schaffe eine gute Basis für eine bessere Arzt-Patienten-Kommunikation, unabhängig von der Qualität der Information.

Wenn man Patienten zugleich zu besseren Quellen leiten wolle, müsste zunächst das Kommunikationsmarketing von Institutionen wie dem IQWIG deutlich besser ausgestattet werden. Außerdem müsse es kein Ziel sein, sofort an der Gesundheitskompetenz zu allen Krankheiten und Therapieangeboten zu arbeiten. Besser und machbar wäre es, sich bei der Patienteninformation auf die Verbesserung der schlimmsten Fehler und Fehlinformationen zu konzentrieren.


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