04/19 | 10. Berliner Symposium der GWQ: Kostenexplosion durch Onkologika ist keine Gefahr für die GKV-Finanzen


Die Referenten des 10. Berliner Symposiums waren sich einig: Die Kosten für die neue Generation personalisierter Krebsmedikamente sind enorm. Nach Einschätzung von Krankenkassen und Verbänden wird sie sogar zu einer Kostenexplosion führen. Steigende Ausgaben erwarten auch Politik und Exekutive, die aber, so die beruhigende Position von Sprechern des Bundesgesundheitsministeriums und des Gesundheitsausschusses des Bundestags, keine ernsthafte Gefährdung der GKV-Finanzlage bedeuten. Wie in der Vergangenheit, so der Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich, könne und werde man bei erkennbaren Handlungsbedarf mit schrittweisen Reformen reagieren. Zumindest bei einzelnen Aspekten des Themas sahen die Vertreter der Kostenträger das anders: Bei „Transparenz der Preisbildung“ und dem tatsächlichen Nutzen der innovativen Therapien gebe es schon heute eindeutigen Handlungsbedarf.

Das diesjährige GWQ-Symposium in der Daimler Repräsentanz Haus Huth beschäftigte sich mit Nutzen und Herausforderungen durch die Entwicklung neuer Wirkstoffe und Therapiekonzepte für die Krebstherapie. Dazu gehörten in erster Linie die Behandlungs- und sogar Heilungschancen, die von allen Referenten gesehen und begrüßt wurden. Dazu gehörte aber auch die Frage, wann und wie verlässlich der Nutzen neuer Onkologika beschrieben werden kann und welche Konsequenzen für die Preisbildung und die Erstattung der Medikamente sich daraus ergeben. Die teils unterschiedlichen Positionen von Medizin, Herstellern und Kostenträgern wurden durch die Vorträge und Diskussionen auf dem Symposium erkennbar. Zur Frage, wie Politik und Krankenkassen konkret mit den Chancen und Herausforderungen der teuren Innovationen umgehen können, gab es Vorschläge, aber noch keine einheitliche Linie.

Weitgehend einheitlich beurteilt wurde der medizinische Nutzen der neuen Medikamente. Prof. Dr. med. Andreas Mackensen vom Universitätsklinikum Erlangen sprach von einer neuen Ära auf den Gebieten Hämatologie und Onkologie. Als Direktor der Erlangener Klinik für Hämatologie und Internistische Onkologie skizzierte er die Wirkungsweise der neuen Therapien und konnte von bemerkenswerten Erfolgen berichten. Allerdings sei noch nicht hinreichend klar, bei welchen Patienten eine Therapie wirklich erfolgversprechend sei. Angesichts von Therapiekosten im sechsstelligen Bereich oder darüber, stehe daher die Identifikation entsprechender Biomarker bei ihm und Kollegen oben auf der Agenda. Dass Kliniken für ihren zusätzlichen Aufwand rund um die neuen Therapien nicht vergütet würden, sieht er als erhebliches Problem.

Auch Dr. Haas, beim GKV-Spitzenverband für Arzneimittel und Heilmittel verantwortlich und selbst Onkologin, begrüßte die neuen Heilungschancen ausdrücklich. Sie machte allerdings deutlich, warum aus Sicht der GKV Handlungsbedarf besteht. Einerseits geht es um die reine Kostenentwicklung: Während die Arzneimittelausgaben von 2014 bis 2018 insgesamt um 16 Prozent angewachsen sind, betrugen die Zuwächse der Ausgaben für Onkologika und für Kombinationstherapien mit verschiedenen Wirkstoffen um 49 bzw. 58 Prozent. Andererseits sorgten die beschleunigten Zulassungsverfahren dafür, dass viele Innovationen auf den „für Hersteller sehr attraktiven“ deutschen Markt drängten. Problematisch sei es, dass es dann noch an Evidenz zum Nutzen wie zu Risiken fehle. Obwohl diese Informationen oft auch Jahre später nicht nachgereicht werde; dessen ungeachtet müssten die Kassen die Wirkstoffe weiter bezahlen.

In den Niederlanden ist der Umgang mit hochpreisigen Arzneien deshalb anders geregelt, wie Dr. Sarah Kleijnen vom niederländischen Zorginstitut erklärte. Ausgangslage sei die von der Gesellschaft akzeptierte Philosophie, mit den vorhandenen Mitteln möglichst viel Gesundheit für die gesamte Bevölkerung zu „kaufen“. Deshalb müssten sich neue Therapien an ihrer Effizienz messen lassen. Dafür werden die Kosten errechnet, die für ein gewonnenes Lebensjahr in guter Gesundheit anfallen: Die zusätzlichen Kosten der neuen Therapie werden dividiert durch die „Qualy-Differenz“, mit der die allein der neuen Therapie zu verdankenden Behandlungsergebnisse beschrieben werden.

Aufgrund dieser Berechnung gebe das Institut eine Empfehlung an das Gesundheitsministerium ab. Das allein entscheide, ob das Medikament – ggf. nach Aushandlung landesweit gültiger Rabatte – erstattet wird. Letztlich gehe es um die Abwägung, ob man mit der Summe X einen zusätzlichen Lebensmonat für einen Krebskranken ermögliche oder das Geld für andere Gesundheitsleistungen besser eingesetzt werden könne. Das Ziel, möglichst viele Gesundheitsleistungen für alle bereitzustellen, sei in den Niederlanden gesellschaftlicher Konsens.

Dieser grundsätzlich auch in England verfolgte Ansatz, so Dr. Kleijnen, sei durchaus umstritten, werde aber wegen des solidarischen Denkens der Niederländer in dem Nachbarland akzeptiert. In Deutschland, dafür sprachen die Reaktionen der anderen Gäste, ist er nicht diskussionswürdig – grundsätzlich soll jeder medizinische Fortschritt allen Versicherten zu Gute kommen. Das sei auch der wichtigste Auftrag der pharmazeutischen Industrie, wie Heinrich Moisa erklärte, der in der Geschäftsführung der Novartis Pharma GmbH für den Bereich der Onkologie zuständig ist. Die Weiterentwicklung der personalisierten Medizin sei nur in enger Zusammenarbeit aller Akteure möglich. Fachlich mit den hochspezialisierten Medizinern, bei den Kosten durch Kooperationen mit den Kostenträgern, wie der GWQ-Vertrag zu Kymriah gezeigt hätte.

Die Forderung nach Evidenz unterstützte der Arzneimittelmanager ebenfalls, verwies aber darauf, dass es vergleichsweise komplex sei, diese bei individuellen Therapien zu erbringen. Auf Fragen zur grundsätzlichen Preisbildung oder zu Zahlungsmodalitäten wollte er keine verbindlichen Antworten geben. Den Vorschlag niedriger Einstiegspreise, die bei Therapieerfolgen erhöht werden, konnte ihn ebenso wenig überzeugen, wie der einer Ratenzahlung, die dazu führen würde, dass nur bei Erfolg und Überleben die gesamten Kosten anfallen.

Auch in der abschließenden Podiumsdiskussion mit Dr. med. Antje Haas, Heinrich Moisa, MdB Michael Hennrich und Thomas Müller, Leiter für Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie im Bundesministerium für Gesundheit wurde der medizinische Nutzen der neuen Therapien nochmals betont. Erkennbar wurden aber die unterschiedlichen Perspektiven der Akteure. Für die Hersteller sticht gleich im doppelten Sinne der Nutzen der Innovationen heraus: Für die Patienten, aber auch für wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand des Landes.

Die Krankenkassen hingegen sind offenbar bereit, auch sehr hohe Preise für Überleben und Lebensqualität der Versicherten zu bezahlen. Aber sie möchten, dass diese Preise fair kalkuliert sind und der tatsächliche Nutzen der neuen Wirkstoffe auch belegt wird. Gesundheitspolitik und Exekutive schließlich sehen einen teuren medizinischen Fortschritt, aber keine unlösbaren Probleme bei der Finanzierung. Weil das Gesundheitssystem über gute Instrumente verfüge und bei Bedarf neue bereitgestellt werden könnten. Akuten Handlungsbedarf gäbe es, wie eingangs erwähnt, deshalb noch nicht.


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