09.03.2017

1. Hilfsmittel-Forum der GWQ zum HHVG


Klartext vom Patientenbeauftragten: Ohne Gesetz kommt die Versorgungsqualität zu kurz

Es war eine doppelte Premiere: Das 1. Hilfsmittel-Forum der GWQ ServicePlus AG war zugleich die erste öffentliche Veranstaltung, auf der Vertreter der Bundesregierung nach der Verabschiedung im Bundestag zu Anlass und Zielen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) Stellung bezogen haben. Das gerade einmal sechs Tage zuvor verabschiedete Gesetz war Thema der Veranstaltung des bis auf den letzten Platz besetzten Forums. Dabei wurde eine seltene Einigkeit unter Vertretern von Kostenträgern, Leistungserbringern und Politikern erkennbar: Alle Referenten betonten, dass die durch das HHVG geförderte Verbesserung von Struktur-, Prozess- und Produktqualität in der Hilfsmittelversorgung sinnvoll und gut für die Patienten ist. Zugleich räumten sie ein, dass dieses Ziel auch ohne ein neues Gesetz hätte erreicht werden können, da die gesetzlichen Rahmenbedingungen eher konkretisieren aber die Möglichkeiten auch vor dem HHVG schon gegeben waren.

Dass es nun vorliegt, sei den handelnden Akteuren, wie Leistungserbringern, dem GKV-Spitzenverband und einigen Krankenkassen gleichermaßen zuzuschreiben. Sie hätten die Interessen der Patienten zu lange hinten angestellt, so dass die Politik handeln musste. Eine Handlungspflicht sieht auch GWQ-Bereichsleiter Oliver Harks, obwohl es dazu kein Gesetz gebraucht hätte. In seinem Eingangsvortrag verwies er zwar auf die weiter und dauerhaft steigenden Leistungsausgaben und ein damit einhergehender Kostendruck. Bei der Inkontinenzversorgung seien Qualitätsprobleme ersichtlich, dass die patientenorientierte Versorgungsqualität im Beziehungsdreieck Versicherter, Krankenkasse und Leistungserbringer nicht genug berücksichtigt werde. Die GWQ habe sich in diesem Segment gegen eine Ausschreibung entschieden und nach intensiver Recherche einen Vertragspreis oberhalb von 20 € als angemessen erachtet, um ein gutes Preis-Leistungsverhältnis zu erreichen.

Patientenorientierte Versorgungsqualität nannte auch Andreas Brandhorst als Ziel des HHVG. Der im BMG für die Hilfsmittelversorgung zuständige Referatsleiter stellte die Entstehungsgeschichte des Gesetzes vor. Danach ist die lange als Randbereich verwaltete Hilfsmittelversorgung durch die 2015 immer lauter gewordenen Patientenbeschwerden auf die Tagesordnung gekommen. Angesichts der guten Finanzlage der GKV sei es überdies an der Zeit gewesen, die Versorgungsqualität stärker in den Blickpunkt zu rücken. Dafür sorge nun ein Bündel an Maßnahmen wie z. B. die Pflicht zur Aufnahme von Qualitätskriterien bei Ausschreibungen in die Leistungsbeschreibung oder Wertungsmatrix, definierte Beratungsleistungen oder Transparenz über Anzahl und Höhe aufzahlungspflichtiger Versorgungen. Nach einhelliger Meinung wichtigstes Element des HHVG ist jedoch die nun festgeschriebene schnelle und regelmäßige Aktualisierung des veralteten Hilfsmittelverzeichnisses durch den GKV-Spitzenverband.

Das unterstrich auch Daniela Piossek vom Fachverband BVMed. Aus Sicht der Leistungserbringer sei es außerdem sinnvoll, indikationsbezogene Therapiekonzepte zur Grundlage der Hilfsmittelversorgung zu machen. Das sei patientenorientierter, als das bisherige „Topfdenken“. Auch riet sie zu einer stärkeren Einbindung der Hilfsmittelhersteller, bis hin zu einem Mitspracherecht bei Fortschreibungen des Hilfsmittelverzeichnisses. Angesichts des technologischen Fortschritts und immer spezialisierterer Produkte könne man auf deren Wissen zu Nutzen und praxistauglichem Einsatz der Hilfsmittel nicht verzichten. Anders als die Vertreter der Kostenträger möchte der BVMed, dass Ausschreibungen möglichst eine Ausnahme bleiben. Auf das Gesetz, so Daniela Piossek, hätte man verzichten können, auch wenn es auf Seiten der Leistungserbringer einige „schwarze Schafe“ gegeben hätte.   

Daran ließ auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, keinen Zweifel. Allerdings wies er neben den Leistungserbringern auch zwei nicht näher benannten Krankenkassen, der Selbstverwaltung und dem GKV-Spitzenverband einen Großteil der Verantwortung zu. Sein Büro habe die Situation aufgrund des rasanten Anstiegs von Versichertenbeschwerden zur Inkontinenzversorgung Ende 2015 analysiert. Als Ergebnis wurde die fehlende Qualitätsorientierung als systemisches Problem erkannt.

Statt aufzahlungsfrei gute Qualität anzubieten, hätten Leistungserbringer den Verkauf von aufzahlungspflichtigen Produkten in den Mittelpunkt gerückt. Einzelne Krankenkassen hätten ihrerseits mit alleinigem Blick auf die Beitragsentwicklung auch offenkundig nicht realistisch kalkulierte Verträge akzeptiert. Der GKV-Spitzenverband schließlich hätte seine Hausaufgaben nicht erledigt und damit Fehlentwicklungen Raum gelassen: Weil er das Hilfsmittelverzeichnis nicht aktualisiert habe, galten z. B. bei der Inkontinenzversorgung, die vor 23 Jahren festgeschriebenen Standards. Aus Sicht von Politik und Patienten seien daher die mit festen Fristen versehenen Regelungen des HHVG deshalb eine schlichte Notwendigkeit.

Widerspruch bekam der Patientenbeauftrage dafür nicht, im Gegenteil. Alf Reuter, Vorstandsmitglied Bundesinnungsverband für Orthopädie Technik (BIV-OT), beglückwünschte ihn sogar für das Gesetz. Patientenfreundlich und praxisgerecht sei insbesondere die Vorgabe, wonach bei Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil Ausschreibungen bei individuell anzupassenden Produkten nicht zweckmäßig sind. Auch aus Sicht des BIV-OT sei die Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses überfällig. Notwendig sei es eigentlich sogar, so Alf Reuter, das Verzeichnis bei einigen Produktgruppen sogar ganz neu zu strukturieren.

Ob, wann und wie das HHVG in der Praxis zur allseits geforderten Qualitätsverbesserung führt, bleibt auch nach dem 1. Hilfsmittel-Forum der GWQ offen. Das liegt auch an bleibenden Rechtsunsicherheiten. Beispiele dafür lieferte der Vergaberechtler Dr. Alexander Csaki von der Kanzlei Bird & Bird LLP Düsseldorf. Er hält einerseits Konflikte mit dem EU- und dem Vergaberecht für möglich; andererseits könnte die aktuelle Rechtsprechung die Zulässigkeit von Verhandlungsverfahren in Frage stellen. Denn danach seien solche Ausnahmen bei den Ausschreibungspflichten von Verträgen nicht gesetzeskonform.

Das Gesetz selbst wurde während der Diskussionen im Forum nicht grundsätzlich kritisiert. Deutlich wurde allerdings, warum ein großer Teil des Publikums die Erfolgsaussichten eher skeptisch beurteilte. GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen verwies beispielsweise auf die engen vertraglichen Grenzen seitens des BVA. Auch dürfe man den Einfluss der Kassen auf die Versicherten nicht überschätzen - den hätten in der Regel die Leistungserbringer als Ansprechpartner der Patienten. Die wiederum, so Dr. Alexander Csaki, seien oft markenfixiert, was die Beratungsaufgabe nicht erleichtere.

Zwei auf dem 1. Hilfsmittel-Forum der GWQ formulierte Forderungen zeigten, dass Verbesserungen schon durch die Verwirklichung eigentlich ganz selbstverständlicher Forderungen erreicht werden könnte: Wenn manche Kassen höhere Preise als ihre Wettbewerber zahlen, so Dr. Johannes Thormählen, müssten die Leistungserbringer den Versicherten auch höhere Qualität liefern. Das sei bislang ganz offensichtlich nicht der Fall. Und Dr. Alexander Csaki wunderte sich, wieso Krankenkassen Leistungen gleichsam blind einkaufen und kritiklos akzeptieren, statt sich wie in Vertragsverhältnissen üblich, die geforderten Leistungen stärker zu überprüfen und bei Mängeln entsprechend zu reagieren.

Die Präsentationen zum Dowmload finden Sie hier.

 

v. l. n. r.: Alf Reuter (BIV-OT), Karl-Josef Laumann (Beauftragter der Bundesregierung), Andreas Brandhorst (BMG), Daniela Piossek (BVMed), Oliver Harks

(GWQ), Dr. Alexander Csaki (Bird&Bird LLP), Dr. Johannes Thormählen (GWQ) 


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