05.10.2017

2. Arzneimittel-Forum der GWQ ServicePlus AG


Apothekenmarkt vor großen Herausforderungen: Mit alten Strukturen in die digitale Zukunft?

Vier Tage nach der Bundestagwahl diskutierte das 2. Arzneimittel-Forum der GWQ ServicePlus AG Herausforderungen und Möglichkeiten der Arzneimittelversorgung in der GKV. Einigkeit herrschte zu den absehbaren Herausforderungen: Kostendruck durch neue und teure Arzneien und die Verbesserung der Versorgungsabläufe. Umstritten war, ob allein inhabergeführte Apotheken die Zukunft der Patientenversorgung sichern können. Während GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen strukturelle Veränderungen als Folge der Digitalisierung voraussagte, beharrte die Apothekerseite auf dem System inhabergeführter Apotheken als beste, patientenfreundlichste und innovationsoffene Lösung.


Erkannte und noch ungelöste Schwächen der aktuellen Arzneimittelversorgung waren Thema des ersten Veranstaltungsteils. Niedergelassene Ärzte, so Dr. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband, würden weiterhin zu spät und unzureichend über die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses informiert. Sie beschrieb ein verbessertes Informationssystem aus Sicht des Spitzenverbands, und sie verwies auf die Hürden bei dessen Entwicklung und Einführung. Wann die Ärzte über ihre Praxissoftware schnell und umfassend auf Nutzenbewertungen zugreifen können, ist deshalb noch offen.


Weitere Ansatzpunkte für Information bzw. Verordnungsteuerung der niedergelassenen Ärzte nannte Dr. Barthold Deiters, Leiter des GWQ-Arzneimittelmanagements. Nach GWQ-eigenen Datenanalysen liegen die Brutto-Arzneimittelausgaben pro Kopf in manchen KV-Bezirken um 25 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, in anderen hingegen bis zu 10 Prozent darunter – und dies selbst dann noch, wenn man alters- oder morbiditätsbedingte Einflüsse der unterschiedlichen KV-Regionen nivelliert.


Das neue Entlassmanagement von Kliniken, eingeführt auch zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie, war Thema von Martina Prinz von der Universitätsklinik Köln. Sie skizzierte Anforderungen wie Schritte zur konkreten Umsetzung, machte aber zugleich deutlich, wie aufwändig solche Lösungen vorbereitet werden müssen. Und sie zeigte, wie der Rückstand in Sachen Digitalisierung in Deutschland auch diese Arbeit unnötig verkompliziert.


Wie Digitalisierung aktuell und perspektivisch die Arzneimitteltherapie verbessern kann, beschrieb Dr. Josef Scheiber. Der Geschäftsführer der Biovariance GmbH sieht in der Optimierung der Arzneimitteltherapie das größte Einsparungspotential für die GKV. Sein Unternehmen entwickelt eine APP zur Verbesserung der Adhärenz von Patienten und der Kontrollmöglichkeiten der behandelnden Ärzte. Angelegt als lernendes vernetztes System soll sie letztlich in der Lage sein, datengestützte Informationen zur individuell jeweils besten Einstellung zu liefern.


Im zweiten Teil der Veranstaltung ging es um die Zukunft des Apothekenmarktes. Oliver Harks, Bereichsleiter des GWQ-Einkaufsmanagements, plädierte für neue Vergütungsmodelle, bei denen die pharmazeutische Kompetenz der Apotheker honoriert wird. Außerdem widerlegte er, dass mehr Wettbewerb die Versorgungssicherheit und -qualität gefährdet: Rabattverträge z. B. seien, anders als oft dargestellt, nicht die Ursache für Lieferengpässe bei Arzneien. Und dass die - mittlerweile verbotene - Ausschreibung zur ambulanten Zytostatikaversorgung die wohnortnahe Versorgung durch Apotheken gefährde, wie der Gesetzgeber argumentierte, sei schlichtweg falsch. Die  GWQ-Verträge hatten vielfach für kürzere Lieferwege gesorgt und zugleich erhebliche Einsparungen generiert. GKV-weit umgesetzt wären die Kassen durch Verträge „a la GWQ“ um rund 700 Mio. Euro entlastet worden.


Mehr Wettbewerb rund um Abgabe und Beratung zu Arzneien prognostizierte Max Müller, Chief Strategy Officer der Versandapotheke DocMorris. Er erwartet, dass die weltweit agierenden Internetkonzerne auch auf diesem Markt für Bewegung sorgen werden. Außerdem erwarten die Verbraucher heute auch von Dienstleistern in Sachen Gesundheit digitale, mobile und komfortable Angebote. Max Müller sieht nicht, dass die heutigen Apotheken diesen Schritt vom Arzneimittelhändler zum digitalen Gesundheitsberater gehen möchten – und selbst die flächendeckende Versorgung sei durch das bestehende Apothekensystem nicht gewährleistet.


Das sah Dr. Andreas-Georg Kiefer naturgemäß anders. Als Präsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz und Mitglied des ABDA Bundesvorstandes sind für ihn inhabergeführte Apotheken „unverzichtbarer Teil des Arzneimittelversorgungssystems“. Sie seien von großer Bedeutung für die regionale Versorgung, wobei es ihre wichtigste Aufgabe sei, gerade die schwächsten 10 Prozent der Versicherten gut zu betreuen.


In der abschließenden Podiumsdiskussion wurde bezweifelt, ob diese „Weiter so“-Haltung dem Realitätscheck Stand hält. Dr. Kiefers Überzeugung: Was gebraucht wird, werden die Apotheker liefern, genügt nach Meinung von Max Müller nicht. Die heutigen Strukturen hätten Tempo und Innovationsbereitschaft von Amazon, Google usw. nichts entgegenzusetzen. GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen stellte aus der Perspektive der Krankenkassen und der Versicherten fest: Das deutsche Gesundheitswesen kann sich den Rückstand bei der Digitalisierung nicht dauerhaft leisten. Deutliche Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsverbesserungen sind schon jetzt technologisch möglich, sogar notwendig. Vor allem aber sieht er den durch die Digitalisierung wachsenden Einfluss von Versicherten und Patienten. Weil sich die Menschen heute aktiv für digitale Gesundheitsangebote interessieren, erzeugen sie einen Nachfragedruck, dem sich die bisherigen Vertragspartner der Krankenkassen nicht entziehen können.


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