05.04.2023

Nachbericht: GWQ-Lunch-Talk zu Versorgungs- und Lieferengpässen bei Arzneimitteln


Wir fragten: Können mit dem ALBVVG zukünftig Engpässe bei Arzneimitteln vermieden werden? Oder wird einfach nur alles teurer?

Über 40 Krankenkassenvertreter:innen trafen sich am 31. März zu einer neuen digitalen Ausgabe des „GWQ-Lunch-Talk“. Auf dem virtuellen Podium diskutierten diesmal Dr. Hans-Joachim Jobelius, Politexperte und Inhaber des Beratungsunternehmens jobelius - solutions in health care sowie Dr. Barthold Deiters, Member of Executive Board und Leiter Pharmaceuticals bei der GWQ. Im Mittelpunkt der einstündigen Online-Talkrunde stand die Einschätzung des Referentenentwurfs zum „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“ (ALBVVG) aus Sicht der Krankenkassen. Analysiert wurde der Entwurf vor allem im Hinblick auf mögliche Verbesserungen durch höhere Transparenz in puncto Lieferketten, Anhebung von Festbeträgen für Kinderarzneimittel und die Einführung des Kriteriums „EU-Produktion“ bei Ausschreibungen für Rabattverträge.

Ausgangssituation

Einleitend erfolgte eine Einordnung der Situation, die das Gesetz ins Rollen gebracht hat. Aus Sicht der Experten resultierten die Lieferengpässe vor allem aus der extrem hohen RSV Erkrankungswelle Ende 2022, die sämtliche Bestände und Reserven für Antibiotika und Fiebersäfte quasi leergesaugt hat. Eine derartige Situation wird nach Experteneinschätzung auch in Zukunft jedes Gesundheitssystem überfordern. Die derzeit geplanten Regelungen erscheinen dabei wenig hilfreich.

Zudem gebe es nicht den einen Grund, vielmehr handele es sich um eine multifaktorielle Problemlage aus Rohstoffengpässen, Störungen im Bereich der globalen Logistik sowie knappen Verpackungsmitteln und mehr. Die derzeitige Diskussion fokussiert zu sehr die Produktion, dabei seien die Lieferketten als Ganzes betroffen.

GWQ fordert weiterreichende Transparenzoffensive

Die geplante Ausweitung der Informationsbasis auch auf Krankenhausapotheken wird von der GWQ begrüßt. Dennoch bleibe das ganze System sehr reaktiv und abhängig von den Meldungen der pharmazeutischen Industrie.

Daher fordert die GWQ eine weiterreichende Transparenzoffensive mit vollständiger Erfassung und Monitorierung der Lagerhaltung auf PZN-Basis in Großhandel, Apotheken und Krankenhausapotheken, Erfassung der Abverkäufe von Apotheken und Krankenhausapotheken, um ansteigende Verbräuche zu monitorieren sowie die jährliche PZN-genaue Hinterlegung des Produktionslandes des genutzten Wirkstoffes. Auf diese Weise ließe sich frühzeitig gegensteuern und auf das Verordnungsverhalten der Ärzte einwirken, wenn es wirkstoffübergreifende Alternativen gibt. Dies ermöglicht zudem Optimierungspotenziale in Bezug auf die Listung der GWQ-Rabattvertragspartner beim Großhandel sowie Informationen über den echten Produktionsstandort hinsichtlich einzelner Wirkstoffe. So könne beispielsweise auch im Falle von regionalen Naturkatastrophen an kritischen Produktionsstandorten gegengesteuert werden.

Die verpflichtende 3-monatige Vorratshaltung sieht der GWQ-Experte Dr. Deiters kritisch, da Rabattverträge nur in einem Sechstel der Fälle für Lieferausfälle verantwortlich seien. Und selbst dann stünden in 75 Prozent der Fälle ausreichend Alternativen zur Verfügung. Die Regelung adressiere damit einen Sektor, in dem es de facto kaum Probleme gebe. Daher plädiert Deiters dafür, dass die Bevorratung für alle relevanten Arzneimittel gelten müsse und nicht nur für Arzneimittel unter Rabattvertrag.

Aussetzung der Festbeträge führt nicht zum Ziel

Der Gesetzesentwurf folgt dem Ansatz, durch Aussetzen von Festbeträgen Produktionsanreize für die Pharmahersteller über höhere Preise zu schaffen. Dies scheint aus Sicht der Experten wenig zielführend. Vor allem auch im Hinblick auf Rabattverträge, da der überwiegende Anteil der Lieferengpässe bei anderen Arzneimitteln entstanden sei. Die Aussetzung von Festbeträgen für Kinderarzneimittel und Antibiotika habe zudem gezeigt, dass nur ein Bruchteil der Unternehmen die Preise erhöht hat. Damit scheint der „Proof of concept“ grandios gescheitert. Die Entwicklung untermauere vielmehr die GWQ-These, dass der Preis per se überhaupt gar nicht das Problem für Lieferengpässe ist. An dieser Stelle werde das Geld mit vollen Händen zum Fenster raus geworfen.

Laut Entwurf soll darüber hinaus der BfArM-Beirat eine Liste von Arzneimitteln erstellen, die zur Behandlung von Kindern geeignet sind, sowie eine Liste mit Arzneimitteln mit versorgungskritischen Wirkstoffen. Auch dieser Punkt wird von den Experten kritisch betrachtet, da im Beirat vor allem die Mitglieder mehrerer Pharmaverbände und zahlreicher Leistungserbringer vertreten sind. Demgegenüber steht aktuell nur ein Vertreter der GKV. Das Instrument der Rabattverträge hat in diesem Gremium mithin einen schweren Stand. Inzwischen hat der Gesetzgeber nachgeschärft und einen Punkt der GWQ aufgenommen. Für die GKV sind nun 4 Personen vorgesehen. Aus GWQ-Sicht reicht das allerdings noch immer nicht.

Mehrfachlosvergabe und EU-Produktion als Lösungsweg

Der Entwurf sieht ferner vor, dass die Vergabe von Rabattverträgen an die Produktion in Europa oder Vertragsstaaten des europäischen Wirtschaftsraumes gekoppelt sein soll.

Dies erscheint den Experten etwas unrealistisch. Sie verwiesen auf einen GWQ-Vorschlag, der verhindern soll, dass Vergabeverfahren verzögert werden. Insbesondere bei Wirkstoffen, die gar nicht in der EU produziert werden.

Weitere Probleme entstehen dadurch, dass mit dieser Regelung erneut nur der Rabattvertragsmarkt adressiert wird, Probleme der Lieferkette unbeachtet bleiben und nicht bekannt ist, ob ein Unternehmen, das nach der Zulassung in Europa produzieren kann, dies auch wirklich tut. Zudem erscheint es aus Sicht der GWQ-Experten unrealistisch, dass ein global agierendes Pharmaunternehmen seine Produktion aufgrund dieser Vorgaben verlagert. Die Bedeutung des deutschen Generikamarktes wird hier vom Gesetzgeber offenbar überschätzt.

Die GWQ-Experten halten es daher für wesentlich effektiver und nachhaltiger, das Problem auf EU-Ebene zu adressieren. „Wenn sich ganz Europa dazu entscheiden würde, Zulassungen nur noch zu erteilen, wenn das Unternehmen auch hier produziert, dann wäre das ein echtes scharfes Schwert. Das würde Druck auslösen und langfristig dann die Versorgung von Europa mit Arzneimitteln sichern“, erläuterte dazu Dr. Deiters.

Bei seinen Regelungen lässt der Gesetzgeber leider auch vollkommen außer Acht, dass die Mehrfachvergabe selbst ein extrem wertvoller Schutz ist, um große Teile der Lieferkette zu diversifizieren. Zudem verwiesen die Experten darauf, dass die GWQ in den letzten Jahren genug Evidenz gesammelt hat, um zu belegen, dass Rabattverträge helfen, die Versorgung zu sichern. Denn wenn die Rabattvertragspartner am Ende zu wenig liefern, laufen sie zumindest bei der GWQ Gefahr Schadensersatz zahlen zu müssen. Daher haben die Unternehmen ein hohes Interesse, die Verträge zu erfüllen und entsprechende Mengen mit Vorlauf produzieren zu lassen.

Fazit

Am Ende des GWQ-Lunch-Talks kamen die Referenten zu dem Fazit, dass die geplanten Maßnahmen alles teurer, aber leider nicht besser machen werden. An vielen Stellen weise der Entwurf Schwachstellen auf, die die Versorgungslage kaum verbessern, die Preise aber nach oben treiben. Als Interessenvertreter der GWQ-Kundenkassen wird die GWQ auch weiterhin in den entsprechenden Gremien Nachbesserungen anregen.

Mit dem digitalen Talk-Format wird die GWQ auch in Zukunft Kunden zu aktuellen krankenkassenrelevanten Themen informieren.

Für weitere Fragen zu GWQ-Leistungen im Arzneimittel-Bereich wenden Sie sich bitte direkt an Herrn Dr. Barthold Deiters.


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