04.02.2022

Nachbericht zum 2. GWQ-Lunch-Talk – Schwerpunktthema Versorgung: „Endlich mehr Spielraum für die Versorgung und innovative Versorgungslösungen?“


Am 21. Januar sind erneut über 60 Krankenkassenvertreter:innen unserer Einladung gefolgt und haben am zweiten „GWQ-Lunch-Talk“ online teilgenommen. 

Nachdem bei der Auftaktveranstaltung am 10. Dezember 2021 die gesundheitspolitische Agenda der neuen Bundesregierung aus Sicht der Krankenkassen bereits kritisch hinterfragt wurde, ging es dieses Mal ganz konkret um ein großes Geschäftsfeld der GWQ und Konsequenzen im Hinblick auf das Thema „ambulante Versorgung“. 

Gemeinsam mit den Referenten Dr. Markus Beier und Dr. Johannes Thormählen sowie den Teilnehmenden sind wir der Frage nachgegangen, ob die gesundheitspolitischen Pläne der Ampel-Koalition mehr Spielraum für die Versorgung sowie für innovative Versorgungslösungen beinhalten. Als Landesvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands und Stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands beleuchtete Dr. Beier einige der relevanten Ansätze und Inhalte des Koalitionsvertrages aus hausärztlicher Sicht. 

„Lösungen, die funktionieren, gleich umsetzen“

Sein Fokus richtete sich dabei generell auf praktikable Lösungen. So auch in der Notfallversorgung durch Notfallzentren. Zur Vereinfachung empfiehlt er darüber nachzudenken, Ärztinnen und Ärzten in den angedachten Notfallzentren das Dispensierrecht einzuräumen, anstatt komplizierte Konstrukte aufzubauen. 

In puncto Digitalisierung hofft er, dass die neue Regierung im Gesundheitswesen bei allem nötigen Tempo stärker auf Qualität, Praktikabilität und Usability setzt. Wenn eine Lösung funktioniert, so sein Plädoyer, dann sollte sie gleich umgesetzt werden. Wenn eine Lösung unausgereift ist, kann Sie die Versorgung aber auch behindern oder gefährden.

Beim Thema Gesundheitsförderung regte Dr. Beier zur Diskussion über die Bedeutung von Gesundheitskompetenz und ihrer positiven Wirkung auf die Gesellschaft an. Ferner wünschte er sich die Förderung von evidenzbasierten Entscheidungshilfen, wie z.B. Faktenboxen, um den Fokus stärker auf die Wirksamkeit von Maßnahmen zu lenken. Beim Thema Quartäre Prävention betonte er die Bedeutung einer guten Diagnose, verwies aber auch darauf, dass eine Diagnose nicht per se eine Behandlungsnotwendigkeit definiert.

Dr. Beier warnte im Kontext der Diskussion über Gesundheitsregionen und medizinische Versorgungszentren vor einer Kommerzialisierung, die die Versorgung nicht unbedingt besser macht. Aus seiner Sicht bieten die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) sowie das Konzept der Teampraxis bessere Alternativen.

Pro und Kontra populationsbezogene Versorgungsmodelle

In der zweiten Hälfte des Lunch-Talks wurde der für das deutsche Gesundheitssystem weitestgehend neue Ansatz der populationsbezogenen Versorgung etwas näher betrachtet. Über Anreize für Kassen und Leistungserbringer will die neue Bundesregierung diesen Ansatz auf kommunaler Ebene (Landkreis = Gesundheitsregion) etablieren. Der Grundgedanke der im Koalitionsvertrag verankerten Idee orientiert sich am bislang einzigen Beispiel einer bevölkerungsbezogenen Versorgung in Deutschland, dem Modellprojekt „Gesundes Kinzigtal“. 

Die Analyse machte deutlich, dass verschiedene Aspekte dieser Grundidee einige Fragen aufwerfen. So etwa die Frage nach der Kompetenz der Kommunen bzw. der geplanten Gesundheitskonferenzen im Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung. Oder auch die Frage nach den Vorteilen der dann drohenden extrem kleinteiligen Organisation der Versorgung. Fragwürdig erscheint auch die geplante Umsetzung durch gewinnorientierte Managementgesellschaften (MG), mit denen die Krankenkassen standardisierte Versorgungsverträge abschließen sollen oder sogar eher müssen. 

Ungeachtet der offenen Fragen erscheint die Datenlage für eine Einführung solcher populationsbezogenen Modelle extrem dünn. Wie die umfangreiche Evaluation des Modellprojektes „Gesundes Kinzigtal“, die im letzten Jahr im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, zeigt, weisen die Ergebnisse zu den medizinischen Outcomes nach 10 Jahren Modellversuch keinen Unterschied zur „normalen“ Versorgung auf.

DiGAs – was leisten sie wirklich?

Große Hoffnungen liegen indes auf dem Bereich der Digitalisierung. Es wurde deutlich herausgestellt, dass der Fokus aus Sicht der GWQ auf echten Mehrwert und substitutive Lösungen gerichtet sein sollte. Exemplarisch wurde auf DiGAs eingegangen, für die diese Forderung in besonderem Maße gilt. Auch die Entwicklungen in der Pharmaindustrie gilt es im Blick zu behalten. Hier wird massiv in den Bereich der „Digital Drugs“ investiert, um so über die Apps Zugriff auf Patienten- und Gesundheitsdaten von Versicherten zu erlangen. 

Am Ende des 60-minütigen „GWQ-Lunch-Talks“ herrschte Einigkeit, dass bei vielen Vorhaben des Koalitionsvertrages erst die nächsten Monate und Jahre zeigen, was in welcher Form umgesetzt wird. Um uns – auch zusammen mit unseren Vertragspartnern – in diesen Prozess konstruktiv einbringen zu können, werden wir die Entwicklungen aufmerksam und kritisch verfolgen.


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