24.02.2017

Experten fordern Patientenorientierung statt Finanzwettbewerb

1. Hilfsmittel-Forum der GWQ

Düsseldorf. Das neue Heil- und Hilfsmittelgesetz (HHVG) wird die Versorgung der Patienten verbessern. Nötig war es aber nur, weil Leistungserbringer, der GKV-Spitzenverband und manche Krankenkassen die Interessen der Patienten hinten angestellt hatten. Mit dieser deutlichen Kritik erklärte Karl-Josef Laumann, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, auf dem 1. GWQ Hilfsmittel-Forum am 22.02. in Düsseldorf, den Anlass und die Intention des im Februar verabschiedeten HHVG (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz). Es war die erste Fachdiskussion nach Verabschiedung des Gesetzes, mit hochkarätigen Teilnehmern wie Staatssekretär Laumann, Andreas Brandhorst vom BMG, Daniela Piossek vom BVMed, Dr. Alexander Csaki, Vergaberechtsexperte der Kanzlei Bird & Bird und GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen. Am Ende stand ein positives Fazit: Das Gesetz schafft die Basis für eine patientenorientierte Hilfsmittelversorgung, vor allem durch die Pflichten zur regelmäßigen Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses und zu einer qualitätsorientierten Vertragspolitik.

Ein Jugendlicher erhält aufgrund einer Vertragsumstellung seiner Krankenkasse eine neue Inkontinenzvorlage, die laut knistert – bei seinen Freunden ist er blamiert bis auf die Knochen. Es sind diese Berichte von Betroffenen, erklärte Laumann, die den letzten Impuls über eklatante Defizite in der Inkontinenzversorgung gegeben hätten. Für diese Defizite nannte Karl-Josef Laumann drei Ursachen: Manche Leistungserbringer hätten bewusst Preise angeboten, die nur durch geringere Produktqualität zu erreichen waren, weil sie den Verkauf von aufzahlungspflichtigen Produkten zum Geschäftsmodell gemacht hätten. Das wiederum hätten einige Krankenkassen gerne und kritiklos hingenommen, weil sie nur die Beitragshöhe, nicht aber die Versorgungsqualität im Auge gehabt hätten. Ermöglicht habe das der GKVSpitzenverband - er habe versäumt, das im Fall „Inkontinenz“ seit 23 Jahren unveränderte Hilfsmittelverzeichnis nach neuen Qualitätsstandards zu aktualisieren.

Die stark zunehmenden Versichertenbeschwerden seien schließlich der Indikator dafür gewesen, dass das System nicht funktioniere – die Selbstverwaltung habe hier versagt.  Bislang, so Andreas Brandhorst, Leiter Referat Vertragszahnärztliche Versorgung, Heilmittelund Hilfsmittelversorgung im Gesundheitsministerium, auf der GWQ-Veranstaltung, spielte der Markt der Hilfsmittelversorgung für die Gesundheitspolitik nur eine Nebenrolle. Aber nicht nur aufgrund der brisanten Versichertenberichte gewinnt er jetzt zunehmend an Bedeutung: Auch angesichts einer alternden Bevölkerung und der technischen Entwicklung setzt die Politik das Thema zunehmend auf die Agenda, wie der GWQ-Bereichsleiter Oliver Harks durch Zahlen belegte.

Die Kritik an einzelnen Leistungserbringern konnte GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen belegen: Obwohl GWQ-Verträge den Vertragspartnern höhere Preise einräumten und ganz bewusst im Sinne der Qualität auf Ausschreibungen verzichtet wurde, sei die Zahl der Versicherten mit „freiwilliger“ Aufzahlung für eine bessere Versorgung so hoch wie bei „Billigverträgen“. Fehler seitens mancher Leistungserbringer räumte auch Daniela Piossek, Leiterin Referat Krankenversicherung beim BVMed ein, doch das seien einzelne schwarze Schafe. Andererseits kritisierte sie das „Topf-Denken“ bei der Versorgung, das durch eine indikationsbezogene Betrachtung ersetzt werden könnte. Außerdem sei es sinnvoll, die Hersteller stärker in Konzeption und Beratung der Hilfsmittelversorgung einzubeziehen. Sie hätten eindeutig das beste Wissen zu Möglichkeiten und Nutzen des großen Angebots.

Einigkeit herrschte unter den Experten darüber, dass die Vorgaben des HHVG sinnvoll, zum Teil notwendig seien. Dazu gehört an erster Stelle die Aktualisierung, wenn möglich Neustrukturierung, des Hilfsmittelverzeichnisses als Grundlage für eine moderne Versorgung. Auch die genaue Beschreibung von Qualitätsstandards bei Ausschreibungen und die Pflicht zu Transparenz und Qualitätssicherung werden begrüßt. Auf mögliche rechtliche Probleme verwies der Vergaberechtler Dr. Alexander Csaki. Er hält Konflikte z. B. mit dem EU- und dem Vergaberecht für möglich. Auch könnte die aktuelle Rechtsprechung die Zulässigkeit von Verhandlungsverfahren in Frage stellen, weil danach Ausnahmen bei den Pflichten zur Ausschreibung von Verträgen nicht gesetzeskonform seien.

Unklar blieb, wann das HHVG spürbare Verbesserungen für Versicherten bringt, auch wenn, wie Oliver Harks betonte, die von der Politik gesetzten Fristen „sportlich“ sind. Kurzfristig wahrnehmbare Erfolge erwartet auch Dr. Thormählen nicht, wie die Vertreter der Vertragspartner verwies er auf Vielfalt und Umfang der Aufgaben. Aus Sicht der Kostenträger begrüßte er jedoch die vom Patientenbeauftragten beschriebene Intention des HHVG. Das ist laut Karl-Josef Laumann ein erster Schritt, um den Finanzwettbewerb der GKV durch einen Qualitätswettbewerb zu ersetzen.

Die GWQ ServicePlus AG ist ein von Betriebskrankenkassen gegründetes Dienstleistungsunternehmen. Sie versteht sich als Gemeinschaft mittelständischer Krankenkassen, für die sie innovative Lösungen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung entwickelt. Die Verträge und Dienstleistungen der GWQ können von allen Krankenkassen als Aktionärs- oder Kundenkasse in Anspruch genommen werden.


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