Digital zum informierten Patienten – wenn Ärzte und Kassen die richtigen Quellen “pushen“
Gut informierte und entscheidungsfähige Versicherte sind notwendig für die Etablierung einer konsequent patientenorientierten Gesundheitsversorgung. Deshalb ist die Förderung von Gesundheitskompetenz politisches Ziel und konkrete Aufgabe des Gesundheitssystems. Der Weg dorthin ist allerdings noch lang und mit einer Reihe von Hürden versehen, wie die Vorträge und Diskussionen auf dem 9. Berliner Symposium der GWQ am 13. November zeigten. Eine große Hürde, so Prof. Dr. Gerd Gigerenzer auf der Tagung, seien Wissens- und Kommunikationsdefizite der Ärzte. Nur eine Minderheit der Mediziner könne Statistiken richtig interpretieren und erläutern. Eine andere ist es, dafür zu sorgen, dass evidenzbasierte Informationen Versicherte und Patienten überhaupt erreichen.
Wenn nach Wegen zu mehr Gesundheitskompetenz gesucht werde, bedeute das nicht, dass die Menschen sich bislang zu wenig für Gesundheitsthemen interessierten, wie Benjamin Plocher, Vorstand der Daimler BKK, bei seiner Eröffnung des Symposiums in der Berliner Daimler-Repräsentanz herausstellte. Er verwies dabei auf die immer neuen Tipps und Trends für vermeintlich „gesunde“ Lebensstile und Verhaltensweisen.
Diese Erkenntnis unterstützte GWQ-Vorstand Dr. Johannes Thormählen in seiner Eröffnungsansprache: So wie es bei therapeutischen Angeboten Über-, Unter- und Fehlversorgung gebe, gäbe es auch Über-, Unter- und Fehlversorgung bei Gesundheitsinformationen – mit entsprechenden Konsequenzen bei gesundheitsrelevantem Verhalten, Therapieadhärenz und Wissen um medizinische Evidenz. Krankenkassen seien bereit und in der Lage, die Gesundheitskompetenz ihrer Versicherten durch individuell zusammengestellte Informationen zu stärken. Aber dazu, so Dr. Thormählen, müssten sie die ohnehin vorliegenden Versorgungsdaten auch einsetzen dürfen.
Gute Möglichkeiten für mehr und bessere Versicherteninformation durch die Krankenkassen sieht auch Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Er empfiehlt den Krankenkassen, ihren Versicherten so genannte Faktenboxen zur Verfügung zu stellen. Solche Faktenboxen könnten allgemeinverständlich erklären, welchen Nutzen z. B. Screenings tatsächlich haben oder welche Therapien mit welchen Erfolgsaussichten zur Verfügung stehen.
Die Kassen sind für Prof. Gigerenzer wichtige Informationsvermittler, weil Ärzte diese Aufgabe derzeit offenkundig nicht übernehmen könnten. An Beispielen zeigte er auf, dass die meisten Mediziner nicht in der Lage seien, Statistiken zu verstehen – weil sie es nicht gelernt hätten: So konnten nur 21 Prozent der Medizinstudenten in den Schlusssemestern eine Statistik zum Nutzen des Mammographie-Screenings richtig deuten. Die gute Nachricht: Nach einem nur 90minütigen Kurs stieg dieser Wert auf 80 Prozent. Prof. Gigerenzers Forderung: Das Studium müsse vermitteln, wie aus Statistiken und Studien patientenrelevante Aussagen abgeleitet werden und wie diese in der Patientenkommunikation vermittelt werden.
Das erscheint umso wichtiger, als dass Ärzte von den Versicherten als wichtigste Absender von Gesundheitsinformationen gesehen werden, wie Dr. Alexander Schachinger, Geschäftsführer EPatient RSD GmbH Digitale Gesundheit erläuterte. In seinem Vortrag warnte er vor dem Glauben, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten infolge der Digitalisierung würden das Problem der mangelnden Gesundheitskompetenz gleichsam automatisch lösen. Zum einen verwies er auf Erkenntnisse, nach denen die digitale Kompetenz mit dem Bildungsstand wächst, aber – zumindest bislang – mit dem Alter abnimmt.
Zum anderen sieht er, wie Prof. Gigerenzer, dass die meisten Menschen gute und verlässliche Informationen im Internet einfach nicht finden. Weil es im Netz einen Wettbewerb um Aufmerksamkeit gibt, reiche ein reines Informationsangebot nicht aus. Stattdessen sollten „Versorger“ Informationen oder nützliche Apps aktiv anbieten. Das würden 70 Prozent der Versicherten von ihren Ärzten erwarten, 40 Prozent von ihrer Krankenkasse.
Die Bedeutung der persönlichen Ansprache durch eine vertrauenswürdige Person bzw. Institution bei Informationsangeboten stellte auch SBK-Vorstand Dr. Gertrud Demmler heraus. In einer Podiumsdiskussion bezeichnete sie es als illusorisch, dass Kassen oder andere öffentliche Institutionen den Wettbewerb um die besten Treffer in den Suchmaschinen gewinnen. Faktenboxen seien zwar gut, würden aber als reines Angebot nicht funktionieren. Dafür hätten Krankenkassen die Chance, Versichertenkontakte für idealerweise individualisierte Informationen zu nutzen. Zumindest theoretisch, denn „wir können viel mehr, als wir dürfen“.
Die Schwierigkeiten, gute und objektive Informationen zu finden, beschrieb auch Marion Grote-Westrick von der Bertelsmann-Stiftung. Weder Patienten noch Ärzte kennen und finden Internetseiten mit qualitätsgesicherten Informationen, sagte sie. Ergebnisse einer freien Suche würden von der Suchstrategie bestimmt: Wer zu bestimmten Symptomen nach „gefährlich“ sucht, erhält Links genau zu diesem Thema – wer „harmlos“ eingibt, erhält beruhigende Informationen. Auch für Marion Grote-Westrick ist es daher ein Problem, dass Informationen noch eine Holschuld des Patienten sind, statt Teil des regulären Versorgungsangebots der GKV.
Ansgar Jonietz, Mitgründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH „Was hab‘ ich?“ sieht zumindest für die Dienstleistung seines Unternehmens eine „riesige Nachfrage“. „Was hab‘ ich?“ „übersetzt“ Arztbriefe in eine für Nicht-Mediziner verständliche Sprache. Allerdings warnt er vor zu großen Erwartungen an schriftliche Informationen, weil sich das Textverständnis von 40 Prozent der Bevölkerung auf Grundschulniveau bewege. Er rät, Informationen empfängergerecht zu individualisieren – und sie aktiv als „push“-Nachricht an den Mann oder die Frau zu bringen.
Mit schnellen Erfolgen beim Aufbau von Gesundheitskompetenz für Patienten (und Ärzte) rechnet Prof. Dr. med. Attila Altiner, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Rostock, nicht. Das sei nicht überraschend, weil Evidenz wie Gesundheitskompetenz noch junge Themen seien. Aus ärztlicher Sicht sei es jedenfalls erfreulich, wenn Patienten heute vor einer Konsultation bei Google nachschlagen. Das sei eine gute Basis für eine bessere Arzt-Patienten-Kommunikation, unabhängig von der Qualität der Information. Wolle man Patienten zu besseren Quellen leiten, müsste das Kommunikationsmarketing von Institutionen, wie dem IQWIG, besser ausgestattet werden.
Zugleich dürfe man nicht außer Acht lassen, dass nur für einen eher kleinen Teil der Medizin Evidenz vorliege. Deshalb könne und solle man sich bei der Patienteninformation auf die Verbesserung der schlimmsten Fehler und Fehlinformationen konzentrieren. Das werde künftig einfacher, weil Studierende heutzutage mehr Wert auf Gesundheitskompetenz legen - und schon jetzt sei mitunter erkennbar, dass Ärzte die Kassen dabei nicht mehr als Gegner sehen, sondern deren Unterstützung zu schätzen wüssten.