04/18 | 3. Arzneimittel-Forum der GWQ diskutiert Perspektiven der ATMP: Kosten und Konsequenzen von Gentherapeutika


Personalisierte Medizin gilt als ein Versprechen für die therapeutische Zukunft. Schon seit einigen Jahren arbeiten pharmazeutische Unternehmen beispielsweise an ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products), die schwer- und schwerstkranken Menschen neue und bessere Behandlungs- und Heilungschancen bringen sollen. Das 3. Arzneimittel-Forum der GWQ beschäftigte sich am 18. Oktober in Düsseldorf deshalb mit der Frage, welche Rolle ATMP in der absehbaren Zukunft einnehmen können und welche wirtschaftlichen Konsequenzen das für die GKV bzw. die Krankenkassen haben würde. Planungssichere Antworten lieferte das Forum naturgemäß nicht, aber Konsens herrschte darüber, dass einerseits die Versicherten ein Anrecht auf innovative Behandlungsmöglichkeiten haben, dass es aber zugleich unabdingbar sei, dass die Politik zum Thema ATMP klare und verlässliche Rahmenbedingungen schaffe – denn bislang ist das bestehende Vergütungssystem nicht auf diese neuen therapeutischen Ansätze ausgelegt.

Unter ATMP werden die Arzneimittel-Produktklassen Zelltherapeutika, Gentherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebezubereitungen, die sogenannten Tissue-Engineering-Produkte (TEP), zusammengefasst. Die Produkte werden individuell für einzelne Patienten entwickelt und sollen seltene und schwere Erkrankungen besser und dauerhaft heilen - häufig sogar durch eine einmalige Gabe des Therapeutikums. Allerdings, so GWQ-Bereichsleiter Einkaufsmanagement Oliver Harks, stellt der Einsatz immer neuer ATMP für Krankenkassen ein nicht kalkulierbares Kostenrisiko dar. Einerseits sind die Kosten für diese patientenindividuellen Therapien enorm hoch, andererseits sind belastbare Aussagen zu ihrer langfristigen Wirksamkeit aufgrund fehlender Evidenz noch nicht möglich.

Einen Überblick zum aktuellen und absehbaren „ATMP-Markt“ gab zu Beginn der Veranstaltung  Dr. Siegfried Throm vom Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller e.V. Seine Bilanz: Die Zahl der aktiven Zulassungen sei weiterhin gering: Von 2009 bis September 2018 seien insgesamt 12 ATMPs zugelassen worden, nur acht davon seien aktive Zulassungen gewesen. Auch die Zahl der Projekte in fortgeschrittener klinischer Prüfung sei noch überschaubar, weil der Weg auf den Markt mit hohen Hürden verstellt sei und die Arzneimittelfirmen erhebliche wirtschaftliche Risiken sähen, verstärkt zum Beispiel durch die seit 2018 geforderte Nutzenbewertung auch reiner Krankenhauspräparate.

Den wirtschaftlichen Risiken der Industrie stellte Oliver Harks die Risiken für Krankenkassen gegenüber. Das ATMP-Versprechen, auch schwerste Krankheiten durch eine Einmaltherapie dauerhaft zu heilen, sei zunächst nur ein Versprechen. Der wissenschaftliche Kenntnisstand zu den neuen Therapien sei noch gering, so dass für die Kassen extrem hohe Einmalkosten entstehen würden, ohne dass ein Behandlungserfolg garantiert oder bedrohliche Nebenwirkungen ausgeschlossen werden könnten. Eine Lösung könnten laut Oliver Harks „Pay-per-Performance“-Verträge sein, auch könne man andere Möglichkeiten der Risikoteilung sowie Capping- oder Ratenzahlungsmodelle prüfen.

Regelungsbedarf erkennt man auch auf klinischer Seite, wie der Vortrag von Professor Dr. Lutz Uharek zeigte. Weil der Leiter der Stem Cell Facility der Berliner Charité kurzfristig am persönlichen Erscheinen verhindert war, fasste Dr. Barthold Deiters, Leiter des GWQ-Arzneimittelmanagements dessen Ausführungen zusammen. Prof. Uharek ist überzeugt von dem großen Nutzen, den neue Verfahren für Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten wie Leukämie oder Lymphdrüsenkrebs haben können. Deshalb plädiert er für ein strukturiertes Vorgehen und empfiehlt, z. B. spezielle Labore zur Produktion der maßgeschneiderten Therapien aufzubauen. Dies sichere zusätzlich auch kliniknahe Entwicklungen und mache es unnötig, z. B. T-Zellen über Tausende von Kilometern zu verschicken.

Auch Prof. Dr. Gerd Glaeske als langjähriger und kritischer Begleiter des pharmakologischen Fortschritts sieht die Chancen, die ATMP und andere neue Therapien für Patienten bieten. Allerdings verweist er darauf, dass es bisher keine Leitlinien zu ihrer Verwendung gäbe und ihre Qualität nicht andeutungsweise überprüft werden könne. Der Gemeinsame Bundesausschuss wäre jedenfalls durch die notwendigen Prüfungen und Beurteilungen massiv überfordert. Weil also ATMP gegenwärtig nicht in das bestehende System integriert werden könnten, müssten auch beim Thema Preise neue Wege gegangen werden.

Prof. Glaeske empfahl daher, dass sich die Preise für ATMP an den lebenslangen direkten und indirekten Krankheitskosten orientieren sollten – die allerdings erst noch definiert werden müssten. Notwendig für die systematische und kontrollierte Einführung neuer Mittel seien klare methodische Rahmenbedingungen. Beispielweise könne man feststellen, zu welchen Konsequenzen die Ergebnisse einer nach drei bis fünf Jahren durchgeführten Evaluation der Therapie führen. In ergebnisorientierten Preisverhandlungen könnten Lösungen wie Höchstbetragsregelungen oder Rückzahlungsverpflichtungen vereinbart werden. Unabhängig davon forderte Prof. Glaeske auch für ATMP belastbare Nutzenbewertungen.

Ein Ruf nach neuen Lösungen rund um Zulassung, Preisbildung, Nutzenbewertung und Risikoverteilung für den Einsatz von ATMP war auch der Tenor der Podiumsdiskussion. Dies ergäbe sich zwangsläufig aus dem Zusammenspiel von Leistungsversprechen und Wirtschaftlichkeitsgebot der GKV. Darüber, dass die „Bezahlung nach Behandlungserfolg“ dafür eine Leitlinie sein könnte, herrschte ein weitgehender Konsens. Ein konkretes Beispiel für die Umsetzung ist der GWQ-Vertrag zur MS-Therapie mit Mavenclad®, bei dem der Hersteller im Falle eines Therapieversagens die Kosten der dann wieder einzusetzenden Standardtherapie übernimmt.

Denn, so stellte Oliver Harks in seinem Schlusswort nochmals heraus, die GKV-Versicherten sollen natürlich von neuen Therapien profitieren können, aber das Risiko des Therapieversagens dürfe weder der GKV noch einzelnen Kassen aufgebürdet werden. Deshalb seien GWQ und ihre Kunden offen für neue Vertrags- und Vergütungslösungen. Um diese rechtssicher und wirtschaftlich kalkulierbar einsetzen zu können, seien jedoch neue wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen notwendig – andernfalls blieben die Hürden für innovative Therapieformen weiterhin hoch.


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